Guiding Vision

Laotse, der große chinesische Weise, der um 600 v. Chr. lebte, schrieb seine tiefgründigen Erkenntnisse über den kosmischen Sinn und das menschliche Leben auf Bitten eines Grenzbeamten nieder, als er gegen Ende seines Lebens sein Land verließ. Diesem Werk wurde später der Name Tao te king gegeben, ein Titel aus drei chinesischen Schriftzeichen, die Richard Wilhelm mit "Das Buch (king) vom Sinn (tao) und Leben (te)" übersetzte.

Das Tao te king eröffnet eine Weltsicht, die unabhängig von Raum und Zeit mitten in den Urgrund allen Lebens und allen Seins führt. Ohne Kenntnis der Zusammenhänge der universalen Ordnung und Gesetze können wir uns selbst nicht verstehen und unsere selbstgeschaffenen Probleme nicht lösen. Im Tao te king wird in 81 knapp und präzise gefassten Lehrsprüchen die kosmisch-menschliche Ordnung vorgestellt, aus der sich gültige Lebensideale für den Menschen ableiten. Da vernünftiges Handeln auf der Gültigkeit der Gedankenfundamente beruht, ergeben sich aus Laotses geistiger Weisheitsschau großartige Anregungen für ein wirkungsvolles Tun. Wer sie beherzigt, findet zu innerer Kraft und Stärke.

Mein Bild "GUIDING VISION" bezieht sich inhaltlich auf einen Text aus dem Tao te king:

Also auch der Berufene:
Er ist Vorbild, ohne zu beschneiden,
er ist gewissenhaft, ohne zu verletzen,
er ist echt, ohne Willkürlichkeiten,
er ist licht, ohne zu blenden.

Die Universalität dieser jahrtausendealten Anschauung ist geistiger Mentor für mein Acrylbild, welches in abstrakter visueller Bildsprache die Themen: Integrität, Vorbildlichkeit, Gewissenhaftigkeit, Hilfe, Schutz, Sicherheit, Licht und Wärme assoziativ vermittelt.

Die helleren Acrylfarbschichten sind vielschichtig lasierend über einen dunklen Malgrund aufgetragen  wodurch eine Bildtiefe und ein komplexer Farbenreichtum entstehen. Warme Töne in vorwiegenden Rot-, Orange- und Gelbnuancen regnen über die Bildfläche. Oben und Unten, Himmel und Erde, das Geistige und das Profane, symbolisch verbindend. Wie ein Feld von schützender Umhüllung biegen sich Kaskaden von sich wiederholenden Ornamenten um ein lichtes Innenfeld – das Sein. Das englische Wort Guidance bedeutet Lenkung, Leitung, Führung, Anleitung, Richtschnur, Führungsschiene, Studienberatung, Orientierung. (Ein guide ist ein Ratgeber; ist Vorbild, Leitfaden, Wegweiser, Führung) Vision bedeutet Sehen, Sehvermögen, Vision, Wunschbild, Erscheinung, Anblick, Vorstellungskraft, Phantasie, Voraussicht, Weitblick, große Schönheit.

Das Bild "GUIDING VISION" ist als ein visueller farben- und lichtvoller Anker gedacht, der die Bedeutung des Angeschlossenseins an höhere Ideale und Wertvorstellungen symbolisch transportiert. Bildung beinhaltet neben dem Erwerb von Wissen und der Aneignung von Fähigkeiten immer auch eine Kultivierung des Herzens. Das Bild Guiding Vision möchte den Betrachter motivieren, sich mit seinen persönlichen Lebens-Visionen auseinanderzusetzen: Wovon lasse ich mich im Leben lenken, leiten, führen; welche Ausrichtung zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben, gibt mir Kraft und Stärke?!

Elisabeth Sula



Guiding Vision and Healing Room

Im Vorjahr erhielt Elisabeth Sula den Auftrag, ein Gemälde für die lichtdurchflutete Eingangshalle des neu erbauten Bildungszentrums zu schaffen. Vom Hausherrn wurde der Wunsch geäußert, das Bild solle auch die Leitlinien des Hauses transportieren, die genannt wurden als Integrität, Vorbildlichkeit, Gewissenhaftigkeit, Hilfe, Schutz, Sicherheit und Wärme - Begriffe, die Elisabeth Sula auf ihre ganz besondere Art und Weise umsetzte.

Elisabeth Sula hat neben Malerei an der Universität für angewandte Kunst (bei Prof. Oswald Oberhuber) auch Philosophie studiert und sich mit fernöstlichen und westlichen Denk- und Handlungstraditionen beschäftigt. Studienaufenthalte führten sie in verschiedene Länder, unter anderem wiederholt und monatelang nach Indien, ein Land, dessen Kultur und Mentalität ihr Leben, ihre Kunst und ihre Wahrnehmung sehr beeinflusst hat. Vom Anbeginn ihrer künstlerischen Auseinandersetzung war sie mit ihren Arbeiten auf der Suche nach der Wahrheit, nach dem Sinn, der Essenz des menschlichen Seins. Und von Anbeginn an wichtig war ihr die Bedeutung von Farben und Symbolen in den unterschiedlichen Kulturkreisen. Ihre Bilder verstehe ich als Gedanken und Ideengebäude, wobei ich Sie als Betrachter und Betrachterinnen herzlich einladen möchte, sich auf diesen Prozess der Wahrnehmung und auf diese Reise nach Innen einzulassen und sich versuchsweise wie die Künstlerin auf die Suche nach dem Kern der wirklich wichtigen Dinge auf die Suche nach dem wahren Sinn des Lebens - zu begeben.

Für ihren monumentalen Auftrag hier in Traiskirchen bezog sich die Künstlerin auf ein für sie ganz besonders wertvolles Buch: das Tao te king das Buch (king) vom Sinn (tao) und Leben (te), des großen chinesischen Philosophen und Weisen Laotse. Das Tao te king entstand 600 v. Chr., es wurde nieder geschrieben kurz vor dem Tod des Philosophen und auf Anraten eines Mannes in Uniform, eines Zoll- oder Grenzwächters. Das Buch vom Sinn und Leben eröffnete damals wie heute eine Weltsicht, die unabhängig von Raum und Zeit mitten in den Urgrund allen Lebens und Seins führt. Es zeigt die Zusammenhänge der universalen Ordnung und Gesetze. In 81 knappen, präzisen Lehrsprüchen wird die kosmisch-menschliche Ordnung vorgestellt, aus der sich die Lebensideale für uns Menschen ableiten lassen. Es ist ein Buch, das mit seinen Weisheiten und Anweisungen eine Brücke schlägt zwischen Stärke und Schwäche, zwischen hart und weich, oben und unten, innen und außen, Himmel und Erde. Das Tao steht für den Sinn, die Ordnung des Lebens. Wer diese Ordnung beherzigt, findet zu innerer Kraft.

Eine Textpassage des 58. Lehrspruches aus dem Tao te king führt Elisabeth Sula in ihrem Konzept an, in der der Weise, der Berufene folgend beschrieben wird:

er ist Vorbild, ohne zu beschneiden,
er ist gewissenhaft, ohne zu verletzen,
er ist echt, ohne Willkürlichkeiten,
er ist licht, ohne zu blenden.

Das 6,5 x 2,65 Meter große Bild nennt die Künstlerin "GUIDING VISION" sie meint damit eine Vision, die als Wegweiser und als Führung, als Richtschnur dienen kann, die schützt und leitet, ein geführter Blick nach Innen. Kaskaden von sich wiederholenden Ornamenten fließen um ein lichtes helles Innenfeld  das Sein. Elisabeth Sula beschreibt Guiding Vision als einen visuellen farb- und lichtvollen Anker, der für sie die Bedeutung des Angeschlossen seins an höhere Ideale und Wertvorstellungen symbolisch transportiert. Es verbindet Oben und Unten, Himmel und Erde, das Geistige und das Profane.

Das Bild wird dominiert von zwei Farben: gelb und rot, von denen Goethe in seinem Buch der Farbenlehre um 1800 schreibt:

Gelb - es ist die nächste Farbe am Licht...es ist verwandt dem Gold... es hat eine heitere, muntere, sanft reizende Eigenschaft... Gelb gilt als erwärmend... das Auge wird erfreut, das Herz ausgedehnt, das Gemüt erheitert und unmittelbare Wärme scheint uns anzuwehen.
Rot - die Farbe gibt einen Eindruck sowohl von Ernst und Würde, als von Huld und Anmut ... rot wurde ihrer hohen Würde wegen auch Purpur genannt... eine Umgebung von dieser Farbe ist immer ernst und prächtig ... es zeigt eine wohlerleuchtete Landschaft in furchtbarem Lichte. So müßte der Farbton über Erd und Himmel am Tage des Gerichtes ausgebreitet sein.

Für Elisabeth Sula soll Guiding Vision die Verbindung stärken zwischen dem Profanen und der spirituellen Energie. Für sie steht das Rot für das Profane, für Erde, Blut, das Gelb für die spirituelle Energie. Bei Goethe heißt es an anderer Stelle In dem Roten ist SUCHEN und BEGEHREN, im dem Gelben ist FINDEN und ERKENNEN. Das Bild birgt für die Künstlerin auch Elemente aus der Zahlensymbolik.

Zu sehen sind:
- 3 gelbe, kaskadenartige vertikale Lichtbahnen
- 10 zwischen gelb und rot vermittelnde Pinselstriche
weiters stilisierte Schutzsymbole aus der buddhistischen Ikonographie, die wie ein Band von oben nach unten oder von unten nach oben laufen, und zwar
- 14, beziehungsweise 2 x 7 herzförmige Symbole des dreiteiligen Blattes des Bodhi-Baumes (Der Bodhi-Baum ist eine Art Feigen-Baum, unter dem Buddha der Legende nach erleuchtet wurde, Bodhi steht für Weisheit.)
- 11 Sonnenmotive

Die Künstlerin beschreibt die Zahlensymbolik folgendermaßen: Das Rad des Schicksals (10) möge getragen sein von Kraft und Lebensfreude (11) in Gerechtigkeit und harmonischem Ausgleich der Energien (14) für Körper, Geist und Seele (3).

Das monumentale Bild hat eine ungeheure Strahl- und Wirkkraft, die sich aus den Farben, Formen und Symbolen zusammensetzt. Das ist bei all ihren Arbeiten ähnlich. Im Haus zu sehen sind fast 50 Bilder aus den letzten fünf Jahren. Elisabeth Sula arbeitet meist in Serien, für die sie jeweils eine eigene Technik entwickelt und anwendet. Meist baut sie auf einem dunklen Malgrund auf, gleich einem tiefen, dunklen Seins-Grund auf den Farb-Schicht für Farb-Schicht gelegt wird, dadurch erzielt sie die angestrebte räumliche Tiefe.

Elisabeth Sula will mit ihren Arbeiten eine Innenschau anregen, wie sie selbst es formuliert. Sie ist eine leidenschaftliche Malerin. Malerei bedeutet für sie Lust, energetisches Fließen, strömendes Lebendig sein. Sie will berühren und berührbar machen, heilende Räume kreieren, in die wir uns begeben können, in denen wir unserem Wesenskern näher kommen können. Ihre Farbkaskaden gleichen einer Energie-, Farb- oder Lichtdusche, in die wir uns stellen können, um unser Heilsein, unser Heilwerden zu aktivieren.

Für mich wirken ihre Arbeiten als eine Art von zweidimensionalen Meditationsräumen. Blicke in diese Räume sind wie neue Sichtweisen, für die wir uns öffnen können in die wir eintauchen wie in einen Prozess, wie in ein Bad, das uns erfüllt mit weichen, wohlduftenden, wohlig warmen Empfindungen im Innen wie im Außen geistig und körperlich zur Entspannung, um Kraft zu tanken, oder wie ein geschmeidiges Tuch, in das wir uns hüllen und das uns Schutz gibt vor Kälte und Widrigkeiten jeder Art. Ein wohltuender Raum mit allen sinnlichen Qualitäten, die assoziiert werden können feiner Geruch, sanfte Berührung und Wärme, spürbare Energie, die Melodien der Farbklänge und töne. Die Bilder tragen und vermitteln Schwingungen, die für einige Betrachter und Betrachterinnen sicherlich gut spürbar werden.

"HEALING ROOM", heilender Raum, nennt die Künstlerin ihre neuesten Arbeiten, die in den letzten Monaten hier in Traiskirchen parallel zu "GUIDING VISION" entstanden sind und wiederum eine völlig neue Entwicklung aufzeigen. Verwendet werden vorwiegend Grün- und Blautöne, die sofort Natur und Wasser assoziieren lassen. Sie werden gruppiert zu Farbflächen, Mustern oder wie in der Serie im 1. Stock zu rotierenden, strahlenden Halbkreisen. Die Bilder dieser Serie erinnern zum Teil an Stoff- oder Teppichmuster, eine Wirkung, die vor allem durch die letzte Schicht, der in Rechteck oder Quadrat angeordneten ornamentalen Reihen mit floralen Motiven erzielt wird. Die verwendeten Symbole sind wieder der Bodhi-Baum, aber auch Rosen, Ranken und andere Bordüren. Gleich Fenstern erlauben uns diese Energieräume Blicke in andere Seelenlandschaften, diesmal vielleicht blühende innere Gärten oder (Unter-)wasserwelten. Bekannt sind vielleicht die reich geschmückten Nomadenteppiche, die unterwegs ausgebreitet auf der trockenen Erde den Nomaden einen grünen Rasen und blühenden Garten ersetzen. Sie symbolisieren das fruchtbare Leben der Natur.

Die Bilder dieser Serie sind schön im wahrsten und einfachsten Sinne des Wortes. Das ist nicht selbstverständlich und das muss auch nicht sein Kunst hat nicht den Auftrag im herkömmlichen Sinn ästhetisch schön, ansprechend, farbenfroh zu sein. Kunst bearbeitet die verschiedensten Themenfelder, es gibt schwierige Kunst, kritische Kunst, schockierende Kunst. Kunst kommt nicht von Können, Kunst kommt von TUN, Kunst ist ein kreativer Prozess. Und jede Kunst hat ihre Berechtigung. Doch um so angenehmer, unser Herz öffnend, wärmend, und unsere Seele heilend ist die Malerei, die sie hier im Bildungszentrum Traiskirchen sehen können.

Elisabeth Sulas Worte und ihrer Definition für Bildung:
Bildung beinhaltet neben dem Erwerb von Wissen und der Aneignung von Fähigkeiten immer auch eine Kultivierung des Herzens.

Mag. Andrea Überbacher
Kunstvermittlerin
April 2004

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