Avantgarde des Bewusstseins

„Sei dir selbst ein Freund, liebe dich selbst, vertraue dir selbst“ – so lautet das Eröffnungswerk dieser neuen raumgreifenden Präsentation der Avantgarde des Bewusstseins der österreichischen Künstlerin Elisabeth Sula. Vertrauen in sich selbst als aktive Lebensentscheidung ist ein vorherrschendes Thema in Sulas Werk, eine Idee, die sich in ihren Bildern widerspiegelt, die dieses Mantra auf vielfältige wörtliche und figurative Weise erweitern und reflektieren. Wenn das Konzept täuschend einfach erscheint, wird es angenehm komplex durch Werke wie die leuchtende Abstraktion in einem anderen Raum, die lautet: „Glaube nicht alles, was du denkst, genieße das Leben.“ Sollen wir also nicht auf uns selbst vertrauen?

Vertrauen, so Sula, ist insbesondere als Mittel zur Selbsterkenntnis ein fortwährender Akt bewussten Tuns. Mit ihren neuesten Arbeiten schlägt sie die Notwendigkeit einer Art Dekonditionierung des modernen Geistes vor, einer Ablösung alter Prägungen und wahrgenommener Begrenzungen. In der Serie Rising verleihen dichte lineare Striche den Werken eine vibrierende Energie und evozieren das Gefühl, aus einem Fenster durch Jalousien auf eine pulsierende Welt voller Möglichkeiten zu blicken. Der Titel der Serie spielt auf die Grenzen unserer Realitätswahrnehmung an, die durch alte Wunden und Traumata auferlegt werden, und auf die Notwendigkeit, aufzustehen und die Ängste und Rahmenbedingungen loszulassen, die unsere Fähigkeit zu Wachstum und Veränderung ersticken. Ihre Serie I Choose… spricht von einer ähnlichen Ablehnung der Angst und der Priorisierung der Selbsterkenntnis, wobei jede Arbeit einen anderen Aufruf zu psychischer Aktion enthält.
Mit ihrer bewusst subversiven Platzierung der Arbeit
I CHOOSE DIGNITY
aus dieser Serie – in der Kapelle, genau dort, wo das Kreuz normalerweise aufgehängt würde – spricht Sula auch eine andere Ebene der Konditionierung an, mit der es zu kämpfen gilt: die Verminderung des Weiblichen in den weitgehend patriarchalen Weltreligionen, die unsere Gesellschaft seit Jahrhunderten beherrschen. Der blutrote Hintergrund des Gemäldes ist eine Anspielung auf die Rolle der Frau als Lebensspenderin, aber auch auf die Scham und Erniedrigung, der sie historisch ausgesetzt war. Auf beiden Seiten dieses Altars der Weiblichkeit befindet sich eine Auswahl skulpturaler Arbeiten aus der Serie The Feminine is our Healing Force; ihre geschmeidigen Rundungen suggerieren eine gewisse weibliche Qualität, aber sie erinnern auch an eine grundlegendere Lebensform – einen einzelligen Organismus, der die Vorstellung weiblicher Würde auf die Ursprünge des Lebens auf der Erde zurückführt. Ebenso könnten sie als eine Reihe uralter Runen oder Symbole gelesen werden, deren Lesbarkeit davon abhängt, einen zutiefst ursprünglichen Seinszustand zu erschließen.
Mit Kunstwerken in der Ausstellung, die von absolut abstrakt bis hoch figurativ reichen, beginnen sie - zusammengenommen - entlang eines einzigen Kontinuums Gestalt anzunehmen, wo an einem Ende hyperrealistische gemalte Blumenfotografien organischen Formen in einen dynamischen Tanz des Wachstums und der Regeneration übergehen, die wiederum emotionalen Schwaden von reiner Farbe und Textur weichen. Das Gefühl der formalen und ästhetischen Ausgewogenheit innerhalb dieser Arbeiten steht in direktem Gegensatz zu dem Ungleichgewicht, das Sula als Ergebnis der Unterdrückung weiblicher Qualitäten bei Frauen und auch bei Männern sieht; zu diesen weiblichen Qualitäten zählen Empathie und Mitgefühl. Sulas ausschweifende Verwendung von Farben, die aus östlichen, insbesondere indischen Farbpaletten stammen, wird zu einem Symbol für die reich gesättigte Welt, die jenseits der Grenzen unserer gegenwärtigen Vision liegt – der natürlichen Ordnung, die immer zugrunde gelegt, aber gedämpft wurde. Währenddessen webt sich Text in die ausgestellten Werke ein und aus, die Phrasen sind weniger Befehle als Koans, sie sind Einladungen der Künstlerin auf diese Reise der persönlichen und gesellschaftlichen Sensibilisierung zu begleiten, aus der eine neue Avantgarde des Bewusstseins entstehen könnte.

Elizabeth Breiner, Kunstkritikerin, London, Juni 2021

Von Farbe und Abstraktion bei Elisabeth Sula

Chaos darf sein – Ordnung muss sein. Besonders die Ordnung der Gedanken. So entstehen die meditative Haltung und eine klare Struktur. Weil es Elisabeth Sula um Größeres geht: um persönliche Tiefe - um die Tiefe der Gedanken - um das Vertrauen in die eigene Kraft und in die eigene Intuition, um das Sichtbarmachen des Geheimnisses von Leben und Tod. Waren es früher oft locker gemalte Bilder, mit figurativen Elementen und Ornamenten, so dekorativ wie poetisch, so sind es in den letzten Jahren weiterhin nicht nur großformatige Malereien, sondern Botschaften, die sie auch auf die Bilder schreibt. Sollen es Erklärungen sein über das Bild, Anregungen die Botschaft zu verstehen, sich auch als Betrachter eingeladen wissen über das Bild - aber eben auch über die Worte – nachzudenken? Die Werke sind strenger, es soll nichts ablenken, Form und Farbe, sowie der Text sind genug, um das auszudrücken, was der Malerin geistig-spirituell wichtig ist.

„Es geht vor allem um persönliche Weiterentwicklung im Leben“, - „Ich möchte wachsen“, sagt Sula und das Wachsen heißt für sie wachsen im Geistigen, im Spirituellen, im Bewusstsein und im Vertrauen.
 „Ich möchte meinen Fokus vor allem auf das Schöne richten, nicht auf das Hässliche“ nicht nur auf „die Trauer, sondern auf das sie Überwindende“. Sie will die Selbstverantwortung des Einzelnen betonen und mit ihren Bildtexten ihre Philosophie offenlegen. Sie will den Sinn des Lebens erkennen, indem sie ihre Philosophie in ihren Bildtexten übermittelt.
Ihr geht es um das ganz persönliche Reflektieren der Lebensumstände, aber auch um die Erkenntnis der Welt, dass nur das Nicht-Verdrängen, sondern das genaue Hin-Schauen und Hin-Fühlen wichtig sind, „um zu wachsen“, oder, um Goethe zu zitieren: “…immer mehr in der Liebe zu leben“.

Elisabeth Sula geht es nicht so sehr um das Politische (obwohl das natürlich immer auch impliziert ist), sondern um das Persönliche, denn jede politische Haltung hängt mit dem Bewusstseinsstand zusammen. Somit hat jede Bewusstseinsentwicklung auch Einfluss auf die politische Haltung. Sie versteht ihre Bilder schon als Botschaft, und sie will, dass es Bilder sind mit denen man leben will. Es sind eben auch bei aller Ästhetik Bilder, die den Mut der Künstlerin zeigen, bei dem Betrachter zu eigener Kraft beizutragen und ihn/oder sie zu eigenen Gedanken anzuregen.
„Die Existenz ist wie eine Welle im Ozean, verbunden mit Allem“, sagt Elisabeth Sula. So ist das Atelier verbunden mit einer überbordenden Natur! Die Wohnung, der Balkon, besonders aber der Garten sind ein grüner und bunter Dschungel: Bäume, Blumen, Sträucher, Kräuter, wuchernde Clematis in allen Farben. Vom Vater angelegt, von der Tochter liebevoll gepflegt. Hier darf auch Chaos sein, das Chaos der Natur in ihrer unendlichen Vielfalt von Farbe und Form und nur leicht gebändigt.
Elisabeth Sula lebt in diesen beiden Welten: im wunderbaren, lebendigen Chaos der Natur und in der geistigen und malerischen Ordnung im Atelier und, möchte ich meinen, diese beiden Seiten des Lebens sind ihre künstlerische wie menschliche Basis.

Auch die Farbe – es ist kein Zufall, dass ein Plakat von Mark Rothko in ihrem Stiegenhaus hängt. Ich würde nicht so weit gehen, dass der abstrakte Expressionismus auch bei Elisabeth Sula eine Rolle spielt, aber die Anregung ist offensichtlich. Es gibt bei Rothko z.B. die Überlieferung, dass er durch Künstler wie Max Ernst und Henri Matisse beeinflusst wurde. Künstler denen er nun in keiner Weise ähnelt, das heißt, dass er sich nicht deren Malstil vornahm, wie sich Elisabeth Sula nicht den Stil von Rothko zum Vorbild nimmt. Es ist mehr die Haltung zur Kunst, die Anregung und der Hintergrund der Gedanken. Es geht um diese ganz bestimmte Ordnung, die durch die Komposition und die Farbe entsteht. Mehr um den inneren Monolog mit dem Bildträger, der keine Gegenstände braucht, um seine Aussage zu vermitteln.
Die Farben haben bei jedem Maler eine ganz besondere Bedeutung, und er wird sie so bewusst, aber auch so sicher einsetzen, wie sie in seinem Inneren entstehen. Für Sula ist Blau beispielsweise die Beziehung zum Universum und Rot die Lebensenergie, aber auch die Aggression, die Wut, sowie die Lebendigkeit und Würde. Gelb ist für die Malerin Licht und Hoffnung und Grün der Mut und die Unbekümmertheit.
Elisabeth Sula wird ihre eigenen Worte und Gedanken zu und über Farbe in einem sehr aufschlussreichen Text formulieren – sie wird das authentischer machen, als ich es kann.

Es ist wichtig, dass die Künstler, die Hintergründe der Werke selbst erkennen und selbst vermitteln, nicht nur im Bild, sondern eben auch im Wort. Trotz dem Zitat von Picasso: „male Künstler, rede nicht“. Doch das Geheimnis der Kunst kann nicht nur im Werk selbst vermittelt werden, es braucht die Auseinandersetzung mit Inhalt, Form, Komposition, auch mit dem Spiel, mit dem Rätsel des Ausdrucks und der Stimmung. Und mit dem Prozess des Schaffens direkt – denn jedes Kunstwerk ist ein „work in progress“, erfährt während des Schaffens einen Wandel und eine Entwicklung. Es fällt nicht fertig von der Staffelei, steht nicht vom Boden auf und hängt sich an die Wand. Es ist der Prozess des Werdens, jeder Pinselstrich kann das Bild verändern, jedes Detail seine Aussage in eine andere Richtung lenken. Das ist es doch, was die Künstler treibt und fasziniert, was ihre schöpferische Freude ausmacht.

Auch die Zeit spielt eine Rolle, die Entwicklung der Persönlichkeit, sowie die Entwicklung und das Können des Künstlers, der Künstlerin. In früheren Arbeiten von Elisabeth Sula waren oft Details, wie eine Art Spitzendeckchen, runde höchst ästhetische wunderschöne Mandalas, schwebend auf den starkfarbigen Malgrund gesetzt, leicht und luftig die an indische Kunst erinnern – und Elisabeth ist sehr eng mit Indien verbunden.
Aber es geht nicht nur um den Mittelpunkt der Welt, es geht auch um Wege. Wege, die sich kreuzen, die sich begegnen, die in die Weite führen „…er hat mich hinausgeführt ins Weite“ wie der Psalm 18/20 sagt. Die Welt ist zu eng, der Weg führt zu neuen Erlebnissen, neuen Erkenntnissen – er führt ins Nirgendwo und doch zu sich selbst.

Letztendlich ist nicht die Idee, die Komposition, auch nicht die Farbe, Ausdruck der Malerei und Wille der Künstlerin Elisabeth Sula, sondern alles zusammen. Alles ist in Beziehung gesetzt, so dass es ins Bewusstsein dringt und dafür sorgt, dass man wach bleibt, sowohl die Künstlerin selbst wie der Betrachter.
Johannes Itten der bedeutende Maler und Lehrer am Bauhaus hat einen eigenen Farbkreis, eine eigene Farbenphilosophie entwickelt. Er versteht die Farben als einen zwölfteiligen Farbkreis und er versteht die Welt der Farben als „Farbenklang“. Er vergleicht den zwölffachen Farbkreis mit der Zwölftonmusik des Komponisten Josef Mathias Hauer.

Die Beziehung dieser beiden Künstler, des Malers und des Musikers, wurde in den 1920 Jahren noch ergänzt durch die Philosophie des Denkers Ferdinand Ebner, der über die „Ich-Du“ Beziehung arbeitete (wie es ja auch Martin Buber tat) und mit dem Maler und dem Musiker über das Gesamtkunstwerk von Leben und Denken nachdachte und forschte. Eine höchst produktive Zusammenarbeit, die heute zwar weitgehend vergessen ist, aber doch jenen unglaublichen, wenn auch stillen und geheimnisvollen Einfluss auf die moderne Kunst nahm.
Oftmals sind Einflüsse kaum bekannt und dennoch wirken sie, weil sie ins Unterbewusstsein der nachfolgenden Generationen eindringen und so ihre Wirkung tun. Wie z.B. kommt es, dass wir bis heute vom goldenen Schnitt sprechen, der seit der Antike eine bekannte Gestaltungsregel ist, die längst in unser Bewusstsein derart eingedrungen ist, dass wir als schön und harmonisch empfinden, wenn in Bild und Skulptur oder in der Architektur, der goldene Schnitt berücksichtigt wurde. Und zwar beinahe unbewusst, weil er Basis der Ästhetik ist – man muss ihn sich nicht extra ausrechnen.

Elisabeth Sula ist keine Philosophin, aber in ihren Arbeiten ist viel Philosophisches beinhaltet. Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb sie ihre Gedanken jetzt auf die Bilder schreibt, in strenger Druckschrift. Es sind Botschaften, die sie aussendet, weniger Erklärungen vom Bildinhalt, aber sie regen zum Nachdenken an und zum Weiterdenken, was viel wichtiger ist. Sie versteht sich nicht als Aufklärerin oder als Mahnerin, sie erhebt keinen imaginären Zeigefinger, die Botschaften sind eher eine Ergänzung der Komposition, der Farbigkeit, ein Ausdruck von Leichtigkeit oder Schwere – eben dem Inhalt ihrer großformatigen Bilder gewidmet. Jedes Bild ist ein eigenes Universum. Deshalb braucht jedes Bild seinen eigenen Raum, seine eigene Stille. Selbst wenn in Ausstellungen viele Bilder hängen, sorgt sie dafür, dass viel Platz zwischen den Bildern bleibt, selbst wenn die Texte den Eindruck vermitteln, als wären sie eine zusammenhängende Poesie. Aber eines ist klar und bedarf keines Zweifels: jedes Bild ist ein selbstständiger Kosmos und muss in seiner Einzigartigkeit gesehen werden.

© Angelica Bäumer - September 2022
Kulturjournalistin und Autorin

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